Stellen wir uns vor, die Klimabewegung, die bis vor Kurzem noch massenhaft gegen die fossile Industrie mobilisierte und vehement für einen schnellen Ausstieg aus der Kohleverstromung eingetreten ist, würde nun stattdessen gegen den Bau von Windkraftanlagen, Solarkollektoren und Stromtrassen demonstrieren. Unvorstellbar? Tatsächlich passiert gerade etwas Vergleichbares. Nicht mehr die fossile Autoindustrie mit ihren Diesel- und Benzin-verfeuernden SUVs, sondern ausgerechnet E-Auto-Pionier Tesla und sein Chef Elon Musk sind zum Ziel von Protesten und Kampagnen geworden. Wie kam es dazu?

Vor ein paar Jahren wandte sich die Klimabewegung zu Recht dem Verkehrssektor zu, wo in den letzten Jahren praktisch kein COeingespart wurde – in erster Linie wegen des Benzin- und Dieselverbrauchs von Pkw und Lkw. Verkehrswende-Initiativen schlossen sich zusammen und entwickelten einen Plan für eine ökologische Alternative: Ein möglichst schneller Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner, weniger Autos und weniger Autoverkehr, dafür mehr Sharing, mehr Busse und Bahnen, mehr Rad- und Fußverkehr waren die Eckpfeiler. Ein erster Erfolg des neuen Bündnisses stellte sich 2019 ein, als es gelang, die Internationale Automobilausstellung aus Frankfurt zu vertreiben und die Autoindustrie insgesamt in die Defensive zu drängen.

Das Elektroauto und insbesondere Tesla werden zum Ziel von Kritik und Mobilisierung.

Das hat sich anscheinend geändert. Das Elektroauto und insbesondere Tesla werden zum Ziel von Kritik und Mobilisierung. Beim Demoaufruf von Ende Gelände, einer Initiative, die durch Aktionen zivilen Ungehorsams und Tagebau-Besetzungen vor ein paar Jahren sehr öffentlichkeitswirksam gegen die Kohleindustrie vorging, heißt es nun: „Das Elektroauto soll sich als ‚grüne‘ Alternative zum Verbrennungsmotor etablieren.“ Es sei jedoch vielmehr „die Fortsetzung des Individualverkehrswahns mit anderen Mitteln, aber weder nachhaltig noch sozial verträglich. Und deswegen alle … gegen TESLA und die Werkserweiterung der Gigafactory in Grünheide.“ Auch die für den Brandanschlag auf die Stromversorgung in der Gemeinde Grünheide verantwortlich zeichnende Gruppe argumentiert, Tesla sei „ein Symbol für grünen Kapitalismus“, deren Autoproduktion das „Grundwasser verseucht“. Und: „Jeder Tesla, der brennt, sabotiert die imperiale Lebensweise“; Tesla-ChefElon Musk sei ein „Technofaschist“; und die „komplette Zerstörung der Gigafactory“ sei das Ziel. Auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird ein drohender „Teslismus“ heraufbeschworen. Es drohe nicht nur eine „Endstufe des Kapitalismus“, sondern auch gleich ein Ende der Demokratie. Bald könne es vorbei sein mit „lokaler und betrieblicher Demokratie“. Hintergrund war die Abstimmung in der Gemeinde Grünheide, die sich mehrheitlich gegen eine Erweiterung des Werksgeländes ausgesprochen hatte.

Im Prinzip ist es natürlich richtig, gegen den automobilen Konsens vorzugehen, der – zunächst unabhängig vom Antrieb – die massenhafte Individualmotorisierung als Grundrecht des Globalen Nordens betrachtet. Und dass E-Autos keine Lösung für die Probleme der autozentrierten Gesellschaft sind, ist auch unzweifelhaft. Aber warum dann Tesla angehen und nicht Volkswagen, Daimler und BMW? Sollte nicht das Verursacherprinzip gelten? In der Vergangenheit hatte sich die Klimabewegung unter anderem RWE als Gegner ausgesucht, den Kohle-Giganten, und nicht zum Beispiel einen Windradhersteller. Und das Pendant zu RWE im Verkehr ist Volkswagen. Allein zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen gingen im Jahr 2019 auf das Konto des Wolfsburger Konzerns.

Die Klimaziele werden ohne ein Hochlaufen der E-Fahrzeuge nicht erreicht.

Auch sind nicht E-Autos verantwortlich für die Klimaerwärmung, sondern das akkumulierte Kohlendioxid, das aus dem jahrhundertelang andauernden Verbrennen von fossilen Brennstoffen vor allem in den Industrieländern stammt. Das größte Wirtschafts- und Umweltverbrechen der Nachkriegszeit, der Skandal um manipulierte Abgaswerte, geht auf das Konto von VW, BMW und Daimler. Bis heute arbeiten diese Hersteller mit unlauteren Methoden. Immer noch verbrauchen Neuwagen im Realbetrieb deutlich mehr Diesel und Benzin, als von den Herstellern angegeben, berichtet Der Spiegel. Im Gegensatz dazu steht Tesla für ein Start-up aus dem Silicon Valley, das die etablierte fossile Auto- und Ölindustrie zu einer ungeliebten Elektrifizierung treibt, die wiederum dringend notwendig ist, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Die Klimaziele werden jedenfalls ohne ein Hochlaufen der E-Fahrzeuge nicht erreicht.

Auch beim Thema Wasser ist eine seltsame Schieflage in der Argumentation erkennbar. Tesla hat eine Genehmigung für 1,8 Millionen Kubikmeter jährlich erhalten und steht dafür massiv in der Kritik, für die taz ist Elon Musk gar ein „Ökoterrorist“. Allerdings verbraucht Tesla derzeit nur 0,5 Millionen Kubikmeter. Doch nicht Tesla ist der größte Wasserverbraucher in Brandenburg, sondern das Braunkohleunternehmen LEAG mit sage und schreibe 100 Millionen Kubikmetern. Das fossile Unternehmen verantwortet tatsächlich Umweltverbrechen: 2020 ließ das Unternehmen im mittlerweile geschlossenen Tagebau Jänschwalde laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus rund 114 Millionen Kubikmeter Grundwasser fördern, obwohl nur 42 Millionen gestattet waren.

Der Rest der Klimaschutz-bewegten Welt und auch die Mobilitätsforschung sind sich dahingehend einig, dass Elektroautos nötig sind, um die Klimaziele zu erreichen. Die „Antriebswende“ wird als notwendiger, wenn auch bei weitem nicht hinreichender Bestandteil der Verkehrswende angesehen. In Holland macht die Klimabewegung gegen die fossile Industrie und fossile Subventionen mobil, Greta Thunberg war dabei und wurde Anfang April gleich zweimal in Gewahrsam genommen. Ähnlich in Frankreich: In Arcachon stemmt sich die Bewegung gegen eine geplante Ölbohrung, die Organisatoren von der Gruppe Stop Petrole Bassin d’Arcachon erklären, der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen müsse jetzt mit der Ablehnung dieses Projekts beginnen. Auch in Spanien geht die Bewegung unter der Parole „¡Descarbonización ya!“ („Dekarbonisierung sofort!“) auf die Straße und fordert schnelle Dekarbonisierung und Klimagerechtigkeit. Die Aktionen richten sich „gegen die Industrie für fossile Brennstoffe, die auf Kosten der Weltbevölkerung, der Artenvielfalt und eines sicheren und lebenswerten Klimas unzüchtige Gewinne gemacht hat“. Sie fordern ein Ende des Ausbaus fossiler Brennstoffe und Subventionen.

Anfang des Jahrtausends sah es ja tatsächlich so aus, als würden bei uns die Weichen in Richtung ökologischer Modernisierung, Energiewende und E-Mobilität gestellt.

Anfang des Jahrtausends sah es ja tatsächlich so aus, als würden bei uns die Weichen in Richtung ökologischer Modernisierung, Energiewende und E-Mobilität gestellt. Die Europäische Union rief den Green New Deal aus. Der damalige CSU-Generalsekretär Markus Söder forderte ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2020. Ein ökologisches Update kapitalistischer Wachstumsdynamiken schien zum hegemonialen Projekt zu werden, mit der Elektromobilität als zentralem Bestandteil einer „Ökologisierung der Automobilität“ – so drückten es damals die Autoren Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem viel diskutierten Buch Imperiale Lebensweise aus.

Was ist daraus geworden? Noch immer sind circa 90 Prozent aller in Deutschland hergestellten Autos mit einem klimaschädlichen Verbrenner ausgestattet – bei Volkswagen waren es 2022 sogar 93 Prozent. Ohne den Druck durch die neue Konkurrenz von Tesla hätten die deutschen Autobauer nicht einmal die bisherigen E-Fahrzeuge gebaut. Der für 2035 geplante Ausstieg aus dem Verbrenner in der EU wackelt. Beim Kohleausstieg ist Deutschland mit 2038 Schlusslicht in Europa. Der Wirtschaftsgeograf Christoph Zeller schreibt daher, „die Hypothese eines ‚grünen Akkumulationsregimes‘ verliere jede Grundlage“. Alles deute demgegenüber darauf hin, dass der fossile Kapitalismus „auch in den kommenden Jahrzehnten zwingend auf fossilen Energieträgern beruhen wird“. Auch der Wiener Politikwissenschaftler Ulrich Brand hält den „grünen Kapitalismus“ mittlerweile für gescheitert, er sei als hegemoniales Projekt in der Defensive: Das „fossile Kapital bleibt am Drücker“.

Auch die politische Stimmung ist gekippt, anstelle eines alternativlos erscheinenden ökologischen Umbaus sind in den letzten Jahren verstärkt fossil-bewahrende Hegemonieprojekte entstanden, wie Henrik Sander aufzeigt. Nicht nur die AfD, die von einer drohenden „Öko-Diktatur“ fantasiert, stemmt sich gegen jedwede sozial-ökologische Transformation. FDP und CDU machen Stimmung für eine Verzögerung des ökologischen Umbaus und die Ampel-Koalition hat bereits für E-Fuels eine Ausnahme durchsetzen können. Nach der Union und der FDP spricht sich auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gegen den Verbrennerausstieg in der EU im Jahre 2035 aus und schließt hier argumentativ genau an die AfD an. Das für 2035 geplante Verbrenner-Aus sei „ein schwerer wirtschaftspolitischer Fehler, der eine Schlüsselindustrie und viel Wohlstand in Deutschland vernichten wird“, so Parteigründerin Sahra Wagenknecht. Denn die deutsche Autoindustrie sei beim Verbrenner Weltklasse.

Deutet sich hier eine – von der Klimabewegung sicher nicht gewollte – Querfront zur Verhinderung der Elektromobilität an? Wenn sie sich auf das kleinere Übel Elektroautos einschießt und sich das Unternehmen als Hauptfeind aussucht, das die deutsche Verbrennerliebe aufgeknackt hat – Tesla –, dann gerät sie in eine ungewollte Rolle: Die Klimabewegung könnte zur links-alternativen Flanke werden, die den Rückzug der deutschen Autoindustrie aus der Elektromobilität deckt. Als in Grünheide der Wald besetzt wurde, dürften in Wolfsburg, Stuttgart und München die Sektkorken geknallt haben.