Für die weltweite radikale Rechte bietet Viktor Orbáns Ungarn nicht nur einen Exportschlager: die „illiberale Demokratie“. Der ungarische Premierminister spielt auch eine Rolle bei der transnationalen Vernetzung rechter Akteure. Ersteres konnte gut bei der diesjährigen Conservative Political Action Conference (CPAC) nahe Washington, D.C. beobachtet werden. Zwar war Orbán selbst nicht anwesend. Doch das Interesse an seinem Staatsmodell war mit Händen zu greifen: Die Heritage Foundation hatte einen eigenen Stand, an dem ihr 920-Seiten-Programm für eine zweite Trump-Präsidentschaft beworben wurde. Über 100 Stiftungen, Thinktanks und Institute der amerikanischen Rechten sind an dem Project 2025 beteiligt, dessen Umsetzung eine regelrechte „Orbánisierung“ der USA bedeuten würde. Und ein ums andere Mal wurde in den Reden der ultrakonservativen Republikaner und anderer Rechtsaußen auf Orbáns erfolgreich umgesetzte hegemoniale Strategie Bezug genommen. Wer die im hohen Maße um sich selbst kreisenden US-Amerikaner kennt, weiß, wie bemerkenswert das ist – eigentlich will man ja immer selbst leuchtendes Vorbild und Modell für andere sein.

Zweiteres wurde bereits auf der CPAC in Washington beworben: das Center for Fundamental Rights – angesichts seiner illiberalen Agenda eine kreative Namensgebung – annoncierte die dritte Auflage der CPAC Ungarn. Die Konferenz vom 25. bis 26. April in Budapest wartete, wie ihr amerikanisches Pendant, mit illustrer internationaler Beteiligung auf: Geert Wilders aus den Niederlanden, Mateusz Morawiecki aus Polen, José Antonio Kast aus Chile und auch Hans-Georg Maaßen von der Werteunion waren unter den Rednern. Es gibt also neben dem gezielten Import von Konzepten, Strategien und Taktiken der radikalen Rechten wie beim Project 2025 auch deren Export.

Die grenzüberschreitenden Vernetzungen von Rechtspopulisten und „radikalisierten Konservativen“ sind mehr als nur Fototermine narzisstischer Egomanen wie Donald Trump, Javier Milei oder eben Orbán.

Wie weit reicht diese transnationale Vernetzung? Einerseits darf man das Narrativ der Akteure, dass sie nämlich eine weltweite, geschlossene Bewegung des „richtigen Volkes“ gegen die „Eliten“ des „Globalismus“ und „Wokeismus“ darstellen, nicht einfach für bare Münze nehmen. Doch andererseits sind die grenzüberschreitenden Vernetzungen von Rechtspopulisten und „radikalisierten Konservativen“ mehr als nur Fototermine narzisstischer Egomanen wie Donald Trump, Javier Milei oder eben Orbán. Wieviel mehr genau konnte man allerdings nicht bei der CPAC in Budapest herausfinden – das ging nur mit exklusiver Einladung. Sich unerkannt unter die Teilnehmer zu mischen, mag in den liberalen USA noch gehen, in Orbáns Ungarn aber nicht. Er selbst, so hört man, tritt ohnehin stets nur vor loyalem Fußvolk auf. Journalisten, die sich um Einlass bemühten, wurde vom CPAC-Veranstalter höhnisch die Akkreditierung verweigert: „CPAC is a NO WOKE ZONE.“ Ob sich dennoch investigative Journalisten einschleichen konnten? Oder ob sich Insider unter den rechten Revolutionären irgendwann zum Reden entschließen? Und zwar zum Reden jenseits des Nachbetens vorgestanzter Propaganda oder hochfliegender Pläne ohne Realitätsbezug à la Steve Bannon? Abwarten. Im letzten Jahr jedenfalls wurde eine Journalistin des Guardian recht rabiat von Sicherheitskräften nach draußen befördert.

Das ungarische Exportprodukt vertreiben neben dem CPAC-Veranstalter auch das Mathias Corvinus Collegium (MCC) und das Danube Institute. Beide werden finanziell großzügig vom Staat gefördert, um dem hegemonialen Projekt einen intellektuellen Anstrich zu verschaffen, beispielsweise mit Stipendiaten aus den USA und im Fall des MCC mit Büros in Belgien, Rumänien und der Slowakei. Auch die ungarischen Botschaften mischen weltweit, aber vor allem in Zentral- und Osteuropa mit. Dass das ungarische Modell bei Rechtsaußen so beliebt ist, lässt sich leicht erklären – es hat sich schließlich im Heimatland bereits bewährt. Auch wenn Orbán und seine regierende Fidesz wegen Korruptionsvorwürfen erheblich unter Druck geraten sind, ist die Opposition doch weiterhin fragmentiert. Die Machtposition der auf allen Ebenen mit dem Staat, den Medien und der Wirtschaft verschmolzenen Fidesz scheint unangefochten. Orbáns Wahlkampfstrategen erklären alle Gegner zu Vasallen Ursula von der Leyens und machen Brüssel und seine Institutionen zum Buhmann, vor dem Ungarns Souveränität geschützt werden müsse: an der Grenze gegen Migranten und kulturell gegen eine angebliche LGBTQI-Agenda.

Vor der Wahl zum Europaparlament Anfang Juni sehen Prognosen die radikale Rechte nahezu überall im Aufwind.

Vor der Wahl zum Europaparlament Anfang Juni sehen Prognosen die radikale Rechte nahezu überall im Aufwind – kein Wunder, wenn in Deutschland nicht einmal mutmaßlicher Vaterlandsverrat die AfD mehr als ein, zwei Prozentpunkte kostet. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Ähnlichkeiten der anti-globalistischen und kulturkämpferischen Narrative der radikalen Rechten sind zwar nicht zufällig, sondern Ergebnis grenzüberschreitender Austausche, gar des Voneinander-Lernens – für gegenseitige Inspiration reichen vielleicht schon die Auftritte von internationalen Stars der radikalen Rechten bei der CPAC oder bei der kürzlich vorübergehend von der Polizei unterbrochenen „National Conservatism“-Konferenz in Brüssel. Sie vermitteln den Zuhörern das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein, nämlich einer Bewegung überwiegend weißer Christen gegen alles, was aus ihrer Sicht für apokalyptische Albträume sorgt. Auch Techniken der Propaganda, der Desinformation und der Auftritte in den sozialen Medien werden grenzüberschreitend scharf gemacht: Man schaut ganz genau, was funktioniert, und versucht dann, es im eigenen Kontext anzuwenden. Aber es funktioniert eben bei Weitem nicht alles. Finanzielle Hilfen aus Ungarn werden vor Wahlen immer gerne angenommen, aber die polnische PiS gibt inzwischen den ungarischen Wahlkampfhelfern die Schuld für ihre Niederlage gegen Donald Tusks Bündnis.

„All politics is local“, sagte Tip O’Neill, legendärer Speaker des US-Repräsentantenhauses: Man muss die lokalen Gegebenheiten sehr gut kennen, um zu gewinnen, und das ist eine hohe Hürde. Und so wird man sehen, ob es zu effektiver operativer Kooperation kommt. Ob beispielsweise Steve Bannon, der vergleichsweise ausgefeilte Vorstellungen einer globalen Bewegung zur Überwindung der angeblichen linksliberalen Hegemonie hat, tatsächlich einmal erfolgreiche Operationen in Europa durchführen kann – wie sein Projekt eines deutschsprachigen War Room, seiner Talkshow.

Große Hürden für eine organisierte Kooperation gibt es bekanntlich auch im Europäischen Parlament, wo es gleich zwei Rechtsaußen-Fraktionen gibt, Europäische Konservative und Reformer (EKR) und Identität und Demokratie (ID), die immerhin stabiler sind als noch vor wenigen Jahren. Orbáns Fidesz gehört bisher keiner dieser Fraktionen an. Die Partei hat im März 2021 die christdemokratische Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) verlassen, nur ganz kurz bevor man sie herausgeschmissen hätte. Nun wartet man wohl auf das Ergebnis der Wahl im Juni. Fidesz ist weder bei ID noch bei EKR unumstritten, und auch umgekehrt gibt es Bedenken. Dabei geht es einerseits um den völkischen Nationalismus, der sich beim ID-Mitglied AfD durchzusetzen scheint und der nicht nur Marine Le Pen und ihr Rassemblement National verstört, sondern dem auch Orbán sich nicht ohne Weiteres annähern kann. Zu abhängig ist Ungarn immer noch von guten wirtschaftlichen – und damit auch politischen – Beziehungen zu Deutschland. Zum anderen geht es um das Verhältnis zu Russland und die Positionierung zum Krieg in der Ukraine.

Orbán steckt gewissermaßen in einer autokratischen Falle.

Vor allem Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni (Fratelli d’Italia), die sich – an dieser Stelle vielleicht cleverer als Orbán – mit einem dezidiert pro-ukrainischen Kurs den Rücken in der EU freihält für ihren radikalen Umbau Italiens, stellt Bedingungen für die Mitgliedschaft von Fidesz in der Fraktion EKR: Zumindest müssten die Freundlichkeiten Richtung Putin deutlich abgeschwächt werden. Aber Orbán steckt gewissermaßen in einer autokratischen Falle. Da er die Abhängigkeit Ungarns von Russland nicht rechtzeitig reduziert hat und die ökonomischen Beziehungen zu China sogar ausgebaut hat, um sich vom Westen Europas (und insbesondere von Deutschland) freizuschwimmen, fiele ein Rückzug nun umso schwerer.

Doch auch wenn die Kooperation bei der „rechten Internationalen“ nicht überall so effektiv funktioniert wie ihre Protagonisten behaupten: Es geht in der heutigen Hyperpolitik vorrangig um Emotionen, lokal wie national wie europäisch wie global. Und dabei hat die radikale Rechte die Nase vorn. Dies gilt sowohl bei der Mobilisierung einer zunehmend demokratie- und bürokratiemüden und von der Polykrise überforderten Wählerschaft durch Angst und Wut als – auch bei der Organisation des vorpolitischen Raums nach dem Motto „wir gegen sie“, national wie international. Dabei ist die angebotene Politikalternative mehr als tückisch: Denn wenn alle auf „mein Land first“ setzen, kommt eben kein harmonisches Konzert wieder glücklich souveräner Nationen dabei heraus, sondern schärfste Interessenkonflikte, die nicht länger über langweilig-technokratische Institutionen globaler und europäischer Governance abgefedert und vermittelt werden. Immerhin: In der nächsten Runde wird dann vielleicht auch das langweilig gewordene europäische Friedensprojekt wieder interessant. Auferstanden aus Ruinen?